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Österreich, Wien 27.03.2024

Der Richtwert-Schmäh: Wie aus 6,67 schnell mal 13,38 Euro werden

  • Magier zieht Hasen aus dem Hut - der Richtwert-Schmäh; Foto: Firefly KI, Montage MVÖ
Die Mär der »billigen Richtwertmiete« hält sich hartnäckig. Billig ist einzig der Schmäh der Immo-Lobbyisten, wonach Altbaumieter in Wien »ja eh nur 6,67 Euro pro Quadratmeter zahlen«. Die Realität sieht nämlich ganz anders aus.
 
Wer sich in Wien auf Wohnungssuche begibt, muss seine Preisvorstellungen vermutlich relativ schnell nach oben anpassen. Schlagzeilen wie »Der Richtwertmietzins steigt in Wien auf 6,67 Euro« sind nicht falsch – aber sie vermitteln (nicht immer ungewollt) ein völlig falsches Bild der aktuellen Situation. Während im privaten Mietsektor in sogenannten »Neubauten « – vereinfacht gesagt Gebäude, die nach 1945 errichtet wurden – keine Preisgrenzen für den Mietzins gelten, gilt für Altbauten der Richtwertmietzins. Dieser wird ab dem Jahr 2025 aufgrund des Mietpreisdeckels der Bundesregierung jährlich um die Inflation erhöht – bis 2023 war dies noch alle zwei Jahre der Fall (mehr dazu auf den Seiten 12 ff. in diesem Heft).
 
Die »günstigen« Richtwertmieten in Wien
Seit 1. Juli 2023 beträgt der Richtwertmietzins in Wien 6,67 Euro pro Quadratmeter, am höchsten ist der Richtwert allerdings in Vorarlberg mit 10,25 Euro pro Quadratmeter. In Österreich sind Altbauwohnungen durchschnittlich 72 Quadratmeter groß, was zur Annahme verleitet, dass man in Wien für eine Wohnung dieser Größe 480,24 Euro Nettomietzins bezahlt. Zuzüglich der Betriebskosten (durchschnittlich rund 2,30 Euro pro Quadratmeter) und der Mehrwertsteuer von 10 Prozent macht das eine Bruttomiete von 712,62 Euro - was einem Quadratmeterpreis von 9,90 Euro entspricht. Wie ein Rundblick auf diversen Immobilienplattformen zeigt, ist es aber praktisch unmöglich eine entsprechende Wohnung für diesen Preis zu finden. Wie kann das sein?
 
Fair Wohnen auf Wohnungssuche
Fair Wohnen hat sich für diesen Artikel auf Wohnungssuche begeben. Der Wunsch: 3 Zimmer, 75 Quadratmeter, gute Verkehrsanbindung und Altbau. Nach einigen Klicks ist ein passendes Objekt gefunden: »Die traumhafte Wohnung befindet sich in einem sehr gepflegten Zustand und die Lage der Wohnung ist unschlagbar. Sie bietet Ihnen alles, was Sie für ein komfortables und entspanntes Leben benötigen«, heißt es in der Online-Anzeige. Traumhaft, gepflegt, komfortabel und entspannt – ein Volltreffer. Das möchten wir uns näher ansehen.
 
Beispielwohnung in Wien-Währing
Die 74,2 Quadratmeter große Dreizimmer-Altbauwohnung befindet sich im 18. Bezirk, hat einen Balkon in der Größe von 0,9 Quadratmeter und wird für drei Jahre befristet für eine Gesamtmiete von 1.092 Euro angeboten. Das entspricht einem Brutto-Quadratmeterpreis von 14,72 Euro. Was es hier allerdings noch zu beachten gilt: Wird eine Altbauwohnung befristet vermietet (mindestens 3 Jahre), muss vom Vermieter ein Befristungsabschlag von 25 Prozent berücksichtigt werden. In der Annahme, dieser gesetzlich vorgeschriebene Abschlag wurde in der angegebenen Bruttomiete in der Anzeige bereits abgezogen, würde diese Wohnung unbefristet monatliche Kosten von 1414,58 Euro verursachen – 19,06 Euro pro Quadratmeter (Berechnung siehe Grafik unten).
 
Beispielwohnung Richtwert €/m² Anzeige €/m²
Nettomiete für 74,2 m² 494,91 6,67 1173,06 11,86
-25% Befristungsabschlag -123,72   -293,27  
Betriebskosten 170,66 2,30 112,93 1,52
Netto inkl. Betriebskosten 541,85 7,30 992,72 13,38
MwSt 10% 54,18   99,27  
Bruttomiete 596,03 8,03 1.091,99 14,72
Bruttomiete ohne Abschlag 732,13 9,87 1.414,59 19,06
 
Wildwuchs an Zuschlägen im Richtwertsystem
Wie sich anhand dieses Beispiels gut ablesen lässt, handelt es sich bei dem Richtwertmietzins von 6,67 Euro nämlich nicht um eine Höchstgrenze, sondern um die Berechnungsgrundlage der Miethöhe. Im Mietrechtsgesetz herrscht nämlich ein Wildwuchs an Zuschlägen – und das ohne feste Kataloge. Auch dem zukünftigen Mieter sind die Anzahl der Zuschläge selbst bei der Vertragsunterzeichnung des Mietvertrags oft unbekannt, da diese nicht aufgeschlüsselt werden müssen. Einzig der Lagezuschlag muss im Mietvertrag schriftlich festgehalten werden, diesem Thema widmen wir uns allerdings erst ein bisschen später. Doch für welche Attribute dürfen eigentlich Zuschläge verlangt werden? Wir haben uns dutzende Verfahren, die Rechtsexperten der MVÖ in den letzten Jahren geführt haben, angesehen. Sachverständige haben viele verschiedene Zuschläge ventiliert; nachstehend eine Auswahl der am häufigsten verwendeten.
 
Welche Zuschläge sind enthalten?
Bei unserer Beispielwohnung sind definitiv einige dieser Zuschläge enthalten, denn die Nettomiete beträgt bereits 1.173,06 Euro anstatt der 494,91 Euro (reiner Richtwertmietzins). Ob die Zuschläge tatsächlich begründet bzw. rechtens verlangt werden, muss die Schlichtungsstelle oder ein Gericht entscheiden. Zur Entscheidungshilfe wird meist ein Gutachter herangezogen. Damit dies geschieht muss der Mieter allerdings selbst tätig werden und einen Antrag auf Mietzinsüberprüfung stellen.
 
Abschläge
Neben Zuschlägen müssen vom Vermieter auch Abschläge berücksichtigt werden. Der wichtigste und wohl auch bekannteste ist der Befristungsabschlag von 25 Prozent, der auch in unserem Beispiel Anwendung findet. Auch für fehlende Heizung, fehlendes Bad/WC, überdurchschnittlich hohe Lärmbelastung oder unbrauchbare Flächen beispielsweise durch Dachschrägen kann es zu Abschlägen kommen.
 
Der undurchsichtige Lagezuschlag
In den Wohnungsinseraten wird natürlich immer die »unschlagbare « oder »zentrumsnahe« Lage gelobt, dies geschieht allerdings nicht ohne Grund. Liegt das Gebäude nämlich »nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens« in einer besseren Lage als der Durchschnitt im Wiener Gemeindegebiet, so wird ein Lagezuschlag gewährt. Dieser Zuschlag errechnet sich aus den Grundstückskosten. In Wien veröffentlicht die Magistratsabteilung 25 regelmäßig die von ihr errechneten Lagezuschläge - die Maximalbeträge sind online ersichtlich. In der Wiener Innenstadt beträgt der maximale Lagezuschlag derzeit über 16 Euro (!) netto pro Quadratmeter Wohnfläche. Der Vermieter ist nicht verpflichtet die Höhe des Lagezuschlags im Mietvertrag offenzulegen. Der Mieter muss nur schriftlich im Mietvertrag über die maßgeblichen Umstände, die nach Ansicht des Vermieters einen Lagezuschlag rechtfertigen, informiert werden. Bei Wohnungen, die sich in einem Gründerzeitviertel befinden, darf kein Lagezuschlag verrechnet werden.
 
Lagezuschlag höher als Basismiete
Im Fall unserer Beispielwohnung im 18. Bezirk beläuft sich der Lagezuschlag in dieser Umgebung auf maximal 5,30 Euro pro Quadratmeter (Abfrage über den Lagezuschlagsrechner der Stadt Wien am 9.2.2024). Der Lagezuschlag allein macht also mehr aus als der reine Richtwert (abzüglich eines Befristungsabschlags von 25 Prozent läge dieser bei 5 Euro).
 
Dringender Reformbedarf
Derzeit ist es weder Mietern noch Vermietern möglich eindeutig zu entscheiden, ob Aboder Zuschläge korrekt berechnet wurden. Die Mietervereinigung fordert von der Politik daher klare, nachvollziehbare Mietzinsobergrenzen. In einem Zu- und Abschlagskatalog sollen die Zuschläge auf maximal 25 Prozent vom Richtwert gedeckelt werden. Defacto ist es kaum möglich, in Wien eine private Altbauwohnung zu finden, in welcher allein der reine Richtwertmietzins die Miethöhe ausmacht.
 
Vorsicht, Falle!
Es kommt immer wieder vor, dass die Betriebskosten in einer Wohnungsanzeige unplausibel niedrig angegeben werden, um den Eindruck einer niedrigeren Gesamtmiete zu erwecken. Meist drohen Mietern dann nach der ersten Betriebskostenabrechnung saftige Nachzahlungen und kräftig erhöhte Pauschalen. Die Mietervereinigung errechnet jedes Jahr aufgrund hunderter Betriebskostenabrechnungen den Betriebskostenspiegel. Im Abrechnungsjahr 2021 betrugen die monatlichen Nettobetriebskosten pro Quadratmeter Nutzfläche in Häusern ohne Lift in Wien rund 2,27 Euro.
Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, Tel.: 050195, Fax: 050195-92000, zentrale@mietervereinigung.at, ZVR - Zahl 563290909
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